Projekte Jörg Stamm

erstellt von Dorothea Oetjen und Vera Finkenbusch am 19.01.2004 im Rahmen des Bambusseminars 04, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen - RWTH Aachen

Einleitung


Zur Person Jörg Stamm:

 
Jörg Stamm wurde am 30. Juni 1963  in Olpe geboren.
Nach Abschluß von Abitur 1981 und dem Zivildienst bei der "Caritas", begann er seine Tischlerausbildung, nicht zuletzt weil ihn Konstruktionen von Treppen, Häusern, Booten und Brücken seit jeher faszinierten. In dieser Zeit lernte er die spanische Sprache, die es ihm ermöglichte, seinen Wunsch als Entwicklungshelfer tätig zu sein, zu realisieren.

Seine Arbeit als Entwicklungshelfer begann er in einem Dorf in Ecuador, wo er als erstes Umweltprojekt eine Biogasanlage baute. 
 

 

Das Interesse an Bambus und die Auseinandersetzung mit diesem als Baustoff kam erst während seiner Zeit in Kolumbien auf. Er erkannte den Bambus als Alternative zum vielfach verwendeten Holz der Tropenwälder, da er schnell wachsender Rohstoff ist und auf Plantagen angebaut wird.

Jörg Stamm verwendete ihn zum ersten Mal als Schalung für Betonbauten.

Heute lebt er mit seiner Frau in Popayan in Kolumbien und besitzt seine eigene Baufirma. Er arbeitet mittlerweile hauptsächlich mit CAD, um sich mit anderen Beteiligten (z.B. an der RWTH Aachen) besser austauschen zu können. Deutsch, Englisch und Spanisch spricht er fließend, in Portugiesisch, Französisch und Italienisch besitzt er Basiskenntnisse.


guadua angustifolia

Kolumbien in Südamerika                                        Südkolumbien


 

Projektvorstellung

 

Brücke von Coquiyo, 1995 (März-Juli)

 
Als am 6. Juni 1994 nach tagelangen starken Regenfällen und einem Erdbeben in den Anden (in der Nähe von "Nevado del Huila") eine 20m hohe Schlammlawine ausgelöst wurde, erlagen dieser über 1000 Menschen sowie zahlreiche Bäume und Häuser.120.000 wurden obdachlos und waren ohne Einkommen. 
Um in kurzer Zeit den Wiederaufbau dieses Gebietes sichern zu können, gründete sich seitens der Regierung eine Hilfsorganisation (Indio: NASAY KIWE = unser Land, unsere Erde). Da durch die Aufbauarbeit die vorhandenen Materialien schnell verbraucht waren, mußte parallel mit der Wiederaufforstung begonnen werden. 

Brücke von Grubenmann

Es wurde eine Reiter- und Fußgängerbrücke über den Gebirgsbach nahe der Siedlung benötigt. Das von Jörg Stamm geplante Projekt, eine überdachte Brücke aus Bambus, wurde vom Direktor der NASAY KIWE, dem Umweltexperten Gustavo Wilchis und dem Ingenieur Victor Jose Goméz nach Vergleich mit weiteren Vorschlägen ausgesucht. Die Leitidee seines Entwurfes entstammt den Sprengwerksbrücken des schweizer Zimmermeisters (Barockzeit), Johann Grubenmann. Einzige Bedingung stellte ein Kostenvergleich mit einer Metallbrücke dar, woraufhin sich Jörg Stamm an das Institut für Leichtbau "Frei Otto" in Stuttgart wendete. Zwar fand er dort Experten für Konstruktionen aus Naturfasern vor, für die statischen Berechnungen jedoch empfahl man ihm Prof. Führer von der RWTH Aachen. Innerhalb von 3 Tagen erarbeitete man die notwendigen Kalkulationen.

 

Statisches System:

Das System besteht aus 3 Feldern (6m, 10m, 6m), welche lediglich auf den beiden Vorlandpfeilern aufliegen. Dem entsprechend wirken die Endfelder als Kragarme. Die beiden Brückenrampen wurden mit Drahtkörben aufgebaut, welche mit Schotter gefüllt waren. Sie besitzen keine Gründung und sind somit der Unterspülungsgefahr durch Hochwasser ausgesetzt. Die Brücke kann selbstständig, ohne den Uferanschluß, stehen, da allein die Pfeiler gegründet sind.

Da die Brücke auch dem Autoverkehr zugänglich sein sollte, wurde der Bodenbelag aus Beton über einer verlorenen Schalung (Bambusrohrhälften) ausgeführt. Die lichte Breite der Fahrbahn betrug 2m. Der Belastungsmaßstab für die Sprengwerkskonstruktion war ein 2t-Fahrzeug. Das aus 124 weitgehend biegesteif durchgehenden Stäben bestehende Stabwerksmodell ist hochgradig statisch unbestimmt. Rechnerisch ergab sich eine max. Druckkraft von 20kN pro Bambusstab. 

Nachdem Jörg Stamm den statischen Nachweis erbracht hatte, erteilte man ihm den Auftrag. Trotz der aufwendigen Überdachung, lag sein Angebot unter denen von Beton- oder Stahlbrücken.
 

   

Aufbau der Brücke ohne moderne Hilfsmittel
Bauablauf:

Für den Materialtransport mußten zunächst eine Drahtseilbahn sowie eine Hilfsbrücke errichtet werden. Das für die Einheimischen ungewöhnliche Arbeiten nach Plänen gelang vor allem durch Teamarbeit und Verständnis. Der nächste Schritt war das Vorfertigen der Träger sowie das anschließende Konstruieren von Verbindungen, welche mit Mörtel verfüllt werden sollten. Mit Hilfe zweier 12m hoher Drehbeine, Flaschenzügen und der Kraft von 2 Männern mußten die 2t schweren Träger an Ort und Stelle bewegt werden. Nun wurden weitere Knotenpunkte mit Mörtel von geringer hydrostatischer Höhe verfüllt. 
 

 

Brücke "Escaño", 1995
Brücke "La Cedralia", 1997 (Juli-Dezember)
Brücke "La Chorrera"
Restaurant, 1998 (Februar-Oktober)
In der Nähe von Popayán entstand ein (3-geschossiges) Restaurant an einem Angelweiher. 
Entscheidend für das Gebäude ist nicht der Entwurf, sondern die besondere Tragstruktur in Guadua.

Konstruktion und Gestaltung im Innenraum
Tragstruktur:

Das Gebäude ist eine Fachwerkkonstruktion mit 4 Guaduastangen, die als Stützen dienen und Diagonalen, die durch sie hindurchlaufen. Jörg Stamm beabsichtigte, die Bambusstangen möglichst lang zu belassen, ihre Knicklängen jedoch gering zu halten. In den Schnittpunkten der Diagonalen werden die Stäbe mit Hilfe eines Bolzens verbunden, der die Knicklänge halbiert, die Schlankheit verringert und die Tragfähigkeit erhöht. 
Anstelle von Baustahl verwendete man Guaduarohre zur Bewehrung von Beton (verlorene Schalung). Es ergaben sich zwei Vorteile: Eine wesentlich kostengünstigere Variante sowie eine attraktive Deckenuntersicht. 
Die innenliegende Wendeltreppe ist ebenfalls aus Guadua, ihr Geländer und das der Empore wurden mit hartem Chonta-Holz ausgefacht.

 

Brücke Tierradentro (Nov. 1998-Jan. 1999)   
Diese Konstruktion wurde über den Rio Ullucos in Tierradentro, Inza mit einer Spannweite von 30m gebaut.

 

Brücke an der Universität von Pereira, 2000

Die Brücke auf dem Universitätsglände

Nach sechs Jahren Erfahrung im Bambusbau entschloß sich Jörg Stamm seine innovativen, praxisorientierten Kenntnisse an Andere weiterzugeben, indem er ein Bambusseminar mit 80 Teilnehmern veranstaltete. Dieses fand von Juni bis August 2000 in Kooperation mit der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und deren Partneruniversität in Pereira statt. Ziel war es, eine 40m überspannende Fußgängerbrücke über eine doppelspurige Autostraße zu konstruieren. 

Der Brückenbaulehrgang wurde bereits im September abgeschlossen und zeigte, daß auch materialunerfahrene mit geringem Aufwand einen Bambusträger innerhalb von drei Tagen herstellen können. Das Bauwerk ist das einzige seiner Art, welches im Stadtgebiet alle statischen Genehmigungen erhalten hat.

Nachfolgend ist ein Do it yourself-Handbuch zum Brückenbau in entlegenen Zonen entstanden.

In Tierradentro entstand eine Brücke nach dem gleichen Bauplan, welche dort einen Flußlauf überspannt. Die Spannweite beträgt ebenfalls 40m.
 


Vorfertigung der Elemente am Boden
Brücke in Pereira, 2001 (Januar-Juni)
Diese Brücke gilt als bisheriges Hauptwerk von Jörg Stamm. Sie überbrückt in Pereira ,mit einer Spannweite von 52m einen tief eingeschnitten Bachlauf, um eine französische Schule mit Erweiterungsbauten der anderen Seite zu verbinden. Sie ist als Fußgängerbrücke gedacht, jedoch können ebenso einzelne Fahrzeuge sie überqueren. 
Tragstruktur:

Als Haupttragelement dienen zwei aus je zwölf Bambushalmen gebündelte Druckbögen. Durch starke Horizontalkräfte des sehr flachen Bogens wurden die Fundamente einige Zentimeter nach außen gedrückt. Nach Ausbesserungen an einigen Stellen kann die Brücke jedoch weiter genutzt werden.


komplexes Targsystem auch im Inneren der Brücke
Hilfskonstruktion für den Materialtransport                                
Fundamentkopf mit Druckbögen
Scheune, 2002
Dieses Gebäude wurde Anfang des Jahres 2002 für die Baumschule in Popayán errichtet und dient als Lagerraum für Humusboden. Das Gebäude ist allseitig offen und die Dachkonstruktion sehr hoch geplant, da LKWs mit kippbaren Ladeflächen hier Boden abladen sollen.
Tragstruktur:

Eine Stütze besteht aus jeweils vier Guadua-Paaren, die biegesteif eingespannt sind. Ihre Gestaltung ist angelehnt an die natürliche Wuchsform der Guadua-Halme. 
Durch die gewählte Stützenform sowie das weit auskragende Dach (konstruktiver Wetterschutz) wirkt die gesamte Konstruktion sehr leicht (und "natürlich dynamisch").

Florida-Pavillion, 2003
Dieser Pavillion enstand zwischen Mai und August im Botanischen Garten in Vero Beach, Florida, USA. Wahrscheinlich ist es die erste tragende Bambusstruktur mit offizieller Baugenehmigung und einer Vorlaufzeit von zwei Jahren. Jörg Stamm war zuständig für Design, Vorfertigung (rauchbehandelt), Export und Konstruktion des 144qm großen Bambus Pavillions.
Das Bauwerk ist ein symmetrisches Fachwerksystem über quadratischem Grundriss. Die vier Eingänge zu jeweils allen Seiten betonen zusammen mit der mittigen Dachlaterne das Zentrum des Pavillions. Darüber hinaus wird die Intention als Treffpunkt gestärkt. Die aus vier Guadua-Stäben bestehenden Stützen sind eingespannt in Betonfundamente, welche diese ca. 50cm oberhalb des Geländes einfassen. 

Der Pavillion wurde zunächst in Kolumbien vorgefertigt und später in Miami wieder aufgebaut. So konnte die Konstruktion vor Ort sehr schnell erfolgen.
Das Projekt ließ Jörg Stamm über den Kontinent Südamerika hinweg für Bambusbau bekannt werden.


             
Dachuntersicht im Innenraum
markante Fußpunkte 
Kioske
Von diesen kleineren Bauwerken gibt es bisher 16 Stück in verschiedenen Ausformungen (Größe, Offenheit). Genutzt werden sie zu verschiedensten Zwecken, wie z.B. Sportstätte, Lagerraum, Pavillion, Wetterhütte.
 
 
 
Gewächshaus


Die einfache Konstruktion ist leider von einem Unwetter wieder zerstört worden.
natürlich dynamische Wirkung durch kaltverformte Träger
membranartige Dachhaut
Leimbambus

Eine Weiterentwicklung stellt die Verarbeitung von Guadua zu stabverleimten Bambus dar. 
Wie auch anderes Leimholz besitzt der Bambus nun höhere Festigkeitswerte. Schwachstellen können entfernt und das Material somit optimiert werden. Durch die genaue Kenntnis der Materialwerte erhöht sich  die Exportfähigkeit, macht den Baustoff zukunftsträchtig und bietet eine große Chance für Länder mit Bambusreichtum. 
Zu diesem Thema hat Jörg Stamm im Auftrag der GTZ an der Universität in Pereira eine Studie verfaßt. Sie zeigt Ergebnisse der experimentellen Produktion, die Ausnutzung von Guadua Halmen, Herstellungstechniken sowie deren Kosten und Wirtschaftlichkeit auf.

(links: Jörg Stamm mit Brett und Doppel-T-Träger)


entstandene Produkte                                        
geschichteter Bambus
Vorgefertigte Elemente
Vorhaben für 2004

entwickeltes Teraedersystem an der RWTH Aachen
- zur Zeit exportiert Jörg Stamm ca. 10 000 Bambusrohre nach Leipzig, die für die Verkleidung eines
 Parkhauses verwendet werden sollen

- Teilnahme als Referent am World Bamboo Congress in Delhi (Workshop über Brücken)

- Brücke im Tetraedersystem mit Fahrbahn und Dachüberdeckung soll geplant werden

- Einrichtung einer Werkstatt für die Prüfung und systematische Fertigung dieser Elemente (innerhalb der nächsten sechs Monate)

- würde gerne den Prototyp einer Kuppel bauen

- er hat aus Deutschland Anfragen für Carports, hat aber noch kein statisches und bauorganisatorisches Konzept

- Möbelbau mit Leimholzplatten aus Bambus


 



 
 
 

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